SAARLAND-APPELL

SAARLAND-APPELL
Für technischen Fortschritt – aber nicht auf Kosten der Bürger!


- Unterwegs zum UMTS-Staat -

Die Regierenden haben beschlossen, das Saarland zu einem Musterland des Mobilfunks zu machen. Vorreiter der UMTS-Technik soll es werden – mit Hunderten von neuen Antennen. Das Wirtschaftsministerium hat die alleinige Zuständigkeit für diese Entwicklung. Der Minister und der mit einem Messprojekt beauftragte Wissenschaftler wollen uns die Unterbietung der geltenden Grenzwerte beweisen und so den nötigen Schutz gewährt wissen. Schon jetzt versichern beide dem Volk, dass alles harmlos ist. Gesundheitliche Beschwerden von Bürgern werden als ‚psychische Phänomene‘ abgetan.

Doch wer die Forschung zur Kenntnis nimmt, kann die Nachweise schwerwiegender Schädigungen nicht ignorieren. Gefährdet ist jeder Bürger. Gefährdet ist das Gesundheitswesen. Gefährdet ist die Zukunft von Generationen. Ein kalkulierbares Risiko? Jedenfalls versichern die Versicherungsgesellschaften die Mobilfunkrisiken nicht. Wissenschaftler, die unbequeme Forschungsergebnisse veröffentlichen, werden bedroht und diffamiert. Sollen wir die Wahrheit wie bei den Gefahren des Rauchens, von Asbest und BSE erst Jahrzehnte später erfahren, obwohl die Gefährdung seit langem bekannt war?

Gefährdet sind aber auch Bürger- und Menschenrechte und damit die Demokratie. Die Risikovorsorge, die Grundgesetz und EU-Recht gebieten, wird ignoriert. Der rechtliche Schutz von Minderheiten wird den besonders betroffenen ‚Elektrosensiblen‘ vorenthalten. Das Grundgesetz garantiert den Schutz des Eigentums; doch ungezählte Bürger müssen die aufgezwungene Nähe der Sendeantennen mit drastischem Wertverlust ihrer Wohnungen und Häuser bezahlen – damit Industrie,
Staat, die Antennen-Standortvermieter und die UMTS-Handyverkäufer verdienen. Dies der Vermarktung eines Gerätes zuliebe, dessen Nützlichkeit oder Notwendigkeit sogar Handyliebhaber bezweifeln!

Auf keinem Gebiet haben Politik und Wissenschaft die von der Demokratie geforderte Unabhängigkeit von industriellen Interessen so weit verloren wie in der Mobilfunkpolitik. Regierende, Industrie und eine angepasste Wissenschaft haben sich zu einer Macht verbündet, die in ihrer Selbstsicherheit über Leiden und Widerstände hinweggeht. Nur die Verantwortung haben sich alle vorsorglich so geteilt, dass keiner sie im Ernstfall tragen muss. Politik und Wirtschaft können sagen, sie hätten nur getan, was ein Wissenschaftler für unbedenklich hielt. Der an seine Verantwortung erinnerte Wissenschaftler sagt schon heute, er habe doch immer nur gemessen. Nur der entmachtete Bürger hat nichts mehr zu sagen! Den Preis haben alle erfolgreich auf ihn abgewälzt: ihn zum Versuchskaninchen degradiert und ihm Wertverluste abverlangt, die ein Vielfaches aller industriellen Investitionen ausmachen. Mit welchem Recht? Aber die angeblich unabhängigen Gerichte, die Bürgerrecht schützen sollten, haben mit der Anerkennung der gesetzlichen Grenzwerte und der gesetzeskonformen Standortregulierung für Sendeanlagen mit minimalen Sicherheitsabständen die Entmachtung, Entrechtung und Schutzlosigkeit der Bürger besiegelt.

Forschungslage und Politik stehen in einem immer größeren Widerspruch. Die Verantwortlichen versuchen ihn ‚auszusitzen‘: zum Schutz vor Gesichtsverlust und Regressforderungen - auf Kosten der Bevölkerung. Die Regierenden dürfen von den Bürgern Aufgeschlossenheit für technische Innovationen erwarten – solange diese menschen- und umweltverträglich sind. Die Bürger aber haben auch ein Recht auf Regierungen, deren Informiertheit, demokratische und moralische Kompetenz den Risiken neuer Techniken gewachsen ist.
- Nachweise der Gefährdung -

Nach dem Stand der Forschung ist die gesamte Bevölkerung in wachsender Gefahr, durch die Strahlenbelastung aus Mobil- und Kommunikationsfunk chronisch krank zu werden. Chronische Erkrankungen wie CFS (chronisches Erschöpfungssyndrom), Krebs, Alzheimer oder Parkinson sind nach dem Stand der Medizin kaum heilbar. Auslöser dieser Krankheiten sind Fehlsteuerungen des Zellwachstums, der Aufgaben-Verteilung innerhalb der Zellen und ihres natürlichen Absterbens. Neben Einflüssen durch Drogen, Alkohol oder Rauchen führen auch elektromagnetische Felder und Wellen zu ähnlichen Erkrankungen.

In jüngster Zeit hat die europaweite Reflex-Studie ‚in vitro‘, d.h. in Versuchen an Zellbestandteilen im Labor, die Zellschädigung durch Mobil- und Kommunikationsfunk-Strahlung nachgewiesen: DNA-Strangbrüche, genetische Veränderungen und Chromosomen-Schäden. Eine niederländische UMTS-Studie ‚in vivo‘ - also am lebenden Organismus – hat an Menschen eindeutig bewiesen, dass die Strahlung unmittelbar Wohlgefühl und Gesundheit beeinträchtigt: Tinnitus, Angstzustände, Schlaflosigkeit und Übelkeit wurden diagnostiziert. In beiden Studien waren ‚Nullhypothese‘ (Annahme, dass keine Schädigung entsteht) und ‚Doppelblindversuch‘ (Auswahl der bestrahlten Objekte per Computer) Garanten verlässlicher wissenschaftlicher Aussagen. Eine weitere neue Untersuchung, die Naila-Studie, hat ihre Erkenntnisse ‚epidemiologisch‘, d.h. aus gezielter Beobachtung von Bevölkerungsgruppen gewonnen: Sie hat Menschen im Umkreis einer Mobilfunk-Sendeanlage im Zeitraum von 10 Jahren beobachtet und dabei festgestellt, dass die Krebsrate in der Nähe des Senders doppelt so hoch war wie in der weiteren Umgebung. In allen drei voneinander unabhängigen, sich wechselseitig bestätigenden Projekten wurden die Ergebnisse bei Strahlungsstärken weit unterhalb der in Deutschland geltenden Grenzwerte ermittelt. Die gewonnenen Erkenntnisse entsprechen aber auch zahlreichen bisherigen Studien über die Wirkung elektromagnetischer Strahlungen.

- Grenzwerte – zum Schutz der Mobilfunkpolitik! -

Mobilfunkbetreiber, Politiker, ihre wissenschaftlichen Berater und meist auch unsere Gerichte ziehen sich in Bund und Ländern regelmäßig auf die deutschen Grenzwerte zurück, die den Schutz der Bürger angeblich gewährleisten. Doch schon die Vorgeschichte dieser Werte ist fragwürdig. Sie gehen vor allem auf Empfehlungen der ICNIRP zurück, eines privaten, demokratisch nicht legitimierten Gremiums von Wissenschaftlern. Es lag schon mit seinen Empfehlungen für den Niederfrequenzbereich falsch. Die Festschreibung dieser Empfehlungen sichert den Wünschen der Industrie den fragwürdigen Anschein von demokratischer Legitimität. Denn der Dachverband WHO (Weltgesundheitsorganisation) und die deutsche SSK (Strahlenschutzkommission) übernahmen, was ICNIRP postulierte; die Bundesregierung übernahm, was SSK und WHO vorgaben; und die Gerichte halten dies für den angeblich aktuellen Stand wissenschaftlicher Erkenntnis. Meist erkennen die Organe unserer Demokratie die faktische Unterwanderung durch industrielle Interessen gar nicht mehr.

Die deutschen Grenzwerte beziehen sich ausschließlich auf die thermischen Wirkungen elektromagnetischer Felder. Für eine Situation, in der zahlreiche renommierte Forscher inzwischen den weitaus gefährlicheren athermischen Wirkungen nachgehen, waren die festgelegten Werte also gar nicht gedacht. Das macht verständlich, warum eine Kommission der Europäischen Union (STOA) 2001 einen Grenzwert empfohlen hat, der einem Zehntausendstel des deutschen Wertes entspricht; warum die oberfränkische Stadt Naila gemeinsam mit angesehenen Wissenschaftlern gar eine Absenkung um den Faktor 1 : 1.000.000 fordert. Es macht auch verständlich, warum die deutschen Grenzwerte informierten Bürgern heute als bloßes politisches Bollwerk erscheinen: als Einrichtung nicht zum Schutz der Bürger, sondern zum Schutz einer sie gefährdenden Mobilfunkpolitik.

Die Landesregierung rühmt sich immer wieder ihrer einzigartigen umweltpolitischen Leistung und Vorsicht. So z.B. war zu lesen, sie habe das Land zum bundesweiten ‚Vorreiter‘ einer ‚hochwertigen und modernen Verbraucherschutzpolitik‘ gemacht (SZ vom 22.10.04, S. A 1 f.). Doch in ihrem mobilfunkpolitischen Handeln beweist die Regierung das genaue Gegenteil: Sie betreibt einen rücksichtslosen Freilandversuch an der Bevölkerung und hat das Land zum Vorreiter der Verbrauchergefährdung gemacht!

Deshalb die Empfehlung: Sorgen wir selbst für jenen Widerstand und Verbraucherschutz, den uns niemand nehmen kann! Nutzen wir Handys nur für den Notfall, UMTS-Handys gar nicht! Und gehen wir mit mobilem Sachverstand zu den öffentlichen Wahlen!


- Forderungen -

Angesichts der skizzierten Problemlage fordern die Unterzeichner:

• Bessere Information der verantwortlichen Politiker: Kenntnisnahme der zahlreichen wissenschaftlich erbrachten Hinweise auf Schädigungen; Beratung durch ein Team unabhängiger Wissenschaftler mit interdisziplinärer Kompetenz
• Aufklärung statt Verharmlosung und Irreführung, besonders auch in Schulen
• Untersagung der Handy-Nutzung im Schulbereich
• Offenlegung aller relevanten Daten und Planungen
• Verlagerung der Mobilfunkpolitik in das für Verbraucherschutz oder Gesundheit zuständige Ministerium
• Stärkung der Mitbestimmungsrechte der Gemeinden
• Bedingungslose Einhaltung der Vorsorgepflicht gemäß Artikel 2.2 des Grundgesetzes und Artikel 174 des EG-Vertrags; deshalb:
• Drastische Absenkung der Grenzwerte auf 1µW/m2
• Gesetzliche Grenzwerte auch für alle mobilen Fernseh-Übertragungsanlagen, Handys, DECT-Telefone, W-LAN und alle weiteren ‚mobilen‘ Techniken dieser Art (da die bisherigen Grenzwerte nur für ortsfeste Anlagen gelten)
• Entwicklung einer belastungsfreien Mobilfunktechnologie; bereits jetzt der CT1+ statt des DECT-Standards als die geförderte Norm
• Gewährleistung eines Versicherungsschutzes der Betreiber für alle Folgeschäden
• Treuhänderische Hinterlegung einer Bürgschaft zur Begleichung möglicher Folgeschäden
• Einklagbare Verantwortung der Regierungen und der Parlamente sowie der Betreiber für Versäumnisse zum Schutz der Bevölkerung.



Für
Bündnis 90/Die Grünen: Klaus Borger
Familien-Partei LV Saarland: Heinz Dabrock

ÖDP Landesverband Saar: Ulrich Lantermann
Klaus Nieder (FWG-Saar)
Bündnis saarländischer Bürgerinitiativen Mobilfunk: Helmut Fackler, Klaus Goebbels, Karl Richter, Hermann Wittebrock


Saarbrücken, den 1. März 2005





Nachbemerkung:
Die Initiative zu diesem Appell geht auf eine Informationsveranstaltung am 23. August 2004 in der Stadthalle St. Ingbert zurück, zu der das ‚Bündnis saarländischer Bürgerinitiativen Mobilfunk‘ Umweltsprecher von CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und FWG sowie die Vorsitzenden (zugleich Umweltsprecher) von Familien-Partei und ÖDP eingeladen hatte. Die Veranstaltung sollte die Wähler vor den Wahlen über die jeweiligen mobilfunkpolitischen Ziele informieren. Mit Ausnahme der CDU folgten alle Parteien der Einladung. Einstimmig wurde von den Parteien- und den Bürgervertretern eine mobilfunkkritische Petition an den Landtag vereinbart. Ein erster Textentwurf wurde in den folgenden Monaten mehrfach allen an der Zusammenarbeit Beteiligten zu Prüfung, Kritik und möglicher Ergänzung vorgelegt, jeder Änderungswunsch bis zuletzt in einvernehmlicher Abstimmung berücksichtigt. Als es bereits um die Freigabe des Textes für Druck und Veröffentlichung ging, teilte uns der Umweltsprecher der FDP mit, daß er die Risiken inzwischen weniger kritisch beurteile. Die Umweltsprecherin der SPD informierte uns ohne Angabe von Gründen, daß sie das Papier nicht unterschreiben werde.
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